Futuwwa ~ Tugend und Edelmut

Es ist wichtig, neben der fachlichen Unterstützung für den schulischen Erfolg auch das Sozialverhalten ins Auge zu fassen, um aus den jungen Menschen wertvolle Mitbürger zu machen, die sich positiv in die Gesellschaft einbringen können. Oft fallen gerade junge Menschen aus islamischen Kulturkreisen durch ihr Benehmen negativ auf. Respekt und Höflichkeit lassen des Öfteren zu wünschen übrig.

Dies ist in besonderem Maße erstaunlich, da gerade in der traditionellen islamischen Erziehung aller größter Wert auf ein gutes Benehmen gelegt wurde und dies sogar das erste Erziehungsziel war.

Wo und warum sind diese Erziehungsziele auf der Strecke geblieben?

Bei der Beschäftigung mit dieser Frage stößt man zwangsläufig auf die Tatsache, dass die meisten hiesigen Migranten aus wirtschaftlichen Gründen einwanderten, über wenig Bildung verfügten, dementsprechend wenig Bildung weitergeben konnten und den Nachkommen noch nicht einmal viel Zeit widmen konnten. Diese waren oft gleichermaßen in erzieherischer wie in schulischer Hinsicht sich selbst überlassen.

Sie mussten und müssen sich bis heute häufig buchstäblich „selbst durchschlagen“. Nicht selten bleibt dann als Erziehungsziel für die männlichen Nachkommen „ein Mann zu sein“ und „die Ehre der Familie zu verteidigen“ übrig. Zusätzliche Kollisionen mit der Gesellschaft sind die Folge, die manch einen hinter Gittern führen.

Dort wiederum greifen die traditionellen Resozialisierungsmaßnahmen gerade bei Migranten nicht so gut. Es werden außerdem öfters zweifelhafte Vorbilder gewählt, welche entweder auf krimineller Ebene oder durch besondere Opposition zum Staat erfolgreich sind, wie es bei den Salafisten, bzw. Jihadisten der Fall ist.

Kultursensible Herangehensweisen werden erst in jüngerer Zeit angedacht, um diesen Phänomenen entgegenzuwirken und besser angepasste Maßnahmen für diese Jugendlichen zu entwickeln. Insbesondere haben sich dabei eine Herangehensweise aus dem Islam heraus als erfolgreich erwiesen. So haben diese Jugendlichen nicht den Eindruck, „von außen“ belehrt zu werden, von Vertretern einer Gesellschaft, welche sie nie als gleichwertiges Mitglied anerkennen wird, schon aufgrund des Namens und des Aussehens, sondern von „innen“.

Interessant ist nämlich, dass sich die meisten dieser Jugendlichen trotz ihres unislamischen (schlechten) Benehmens und ihres geringen Wissens in ihrer Identität als Muslime verstehen. Explizite Gebetsangebote in der JVA Wiesbaden werden beispielsweise seit Jahren von weit mehr als der Hälfte aller „muslimischen“ Gefangenen angenommen, während entsprechende christliche Angebote nur einen geringen Prozentsatz der Häftlinge christlicher Konfession ansprechen.

Will man diesen Entwicklungen frühzeitig entgegenwirken, sollte man bei der Entwicklung von Maßnahmen auf folgende Punkte achten:

  •  kultursensibler Zugang
  • positive Vorbilder
  • das Ermöglichen von Erfolgserlebnissen und damit von Ansehen

Für den kultursensiblen Zugang ist es wichtig, dass der „Pädagoge“ über viel Erfahrung im Umgang mit der Kultur beziehungsweise den Kulturen verfügt. Im Normalfall finden die Gespräche zwar in deutscher Sprache statt, da Deutsch in fast allen Fällen die am besten verstandene Sprache ist, dennoch ist es wichtig, die Denkweise nachvollziehen zu können, wofür einige Schlüsselkonzepte der jeweiligen Kultur bekannt sein müssen.

Wenn der „Pädagoge“ selbst einen ähnlichen Hintergrund hat und in seinem Leben „erfolgreich“ war, oder wenigstens einen positiven Weg nahm, kann er diesen Weg gut darstellen, bzw. vorleben.

Das Erleben von Erfolgserlebnissen und Ansehen erreicht man auf breiter Ebene am besten durch eine Diversifizierung des Angebotes, wodurch jeder eine Erfolgsebene finden kann. Neben der Möglichkeit des schulischen Erfolges könnten hier Sport- und Kunstangebote gemacht werden, wobei hinter all den Angeboten insbesondere die Ethik und das positive Verhalten trainiert und angestrebt werden sollen.

Man kann diesbezüglich auf die verschiedenen Herkunftskulturen zurückgreifen, was den Jugendlichen „mit Migrationshintergrund“ durch den Bezug zu ihren Vorfahren eine gute Verwurzelung gibt. Darauf können sie ihre Identität aufbauen, denn gerade Identitätskonflikte bilden häufig die Ursache für Unausgeglichenheit, Zorn und unangenehmes Auffallen.

Die Früchte dieser neu gewonnenen und positiv erlebten Identität können dann der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden.

Es soll eine Bereicherung der Kultur sein und keinesfalls eine Parallelgesellschaft gebildet werden, was schon durch die Diversität der Migrationshintergründe und die dafür notwendige Toleranz gewährleistet sein wird. Ein sehr wichtiger Bestandteil der ethischen Erziehung ist selbstverständlich der Umgang mit den anderen „Kulturen“.

Es finden sich in den islamischen Traditionen alle notwendigen Werte und Erziehungskonzepte, die nur wiederbelebt werden müssen.

Schaut man sich die Geschichte des Mittelalters an, wird man erstaunt sein, wie viele dieser Erziehungskonzepte aus den muslimischen Gegenden in die mitteleuropäische Kultur eingegangen sind. Am deutlichsten ist dies in der Ritterkultur, der Ritterlichkeit mit seiner ganzen Ethik zu erkennen, welche im Arabischen „Futuwwa“ genannt wird.

Wichtig in der Futuwwa sind Eigenschaften wie Aufrichtigkeit, Großherzigkeit, Ehrlichkeit, Friedlichkeit, Höflichkeit, Großzügigkeit, das Vermeiden von Klagen und Gastfreundschaft, andererseits Tapferkeit und das Einstehen für das Gute (Zivilcourage). Ein „Ehrenkodex“ wird so in positive Bahnen gelenkt, eine Art „Edelmannsideal“. Der „Ehrenkodex“ hat mittelalterliche europäische Gilden ebenso beeinflusst wie die christlichen Ritterorden.

Basis der Erziehung ist die Arbeit an sich selbst, die Verbesserung der eigenen  Charaktereigenschaften, „Selbstlosigkeit“, Strenge mit sich und Nachsichtigkeit mit allen anderen.

von Husamuddin Meyer